Pro­zess gegen Bre­mer Nazi-Hooligans

Sep­tem­ber 2011, Bre­men. Nach über vier Jah­ren kommt es zur Gerichts­ver­hand­lung gegen sie­ben Nazis, die im Januar 2007 mit ca. 25 ande­ren eine Geburts­tags­feier der anti­ras­sis­ti­schen Ultra-Grup­pie­rung „Racaille Verte“ über­fal­len hat­ten. Der Angriff, bei dem über 30 Fans ver­letzt wur­den (einige davon schwer), hatte damals bun­des­weit für Auf­se­hen gesorgt.

Bei den Ange­klag­ten han­delt es sich um Han­nes Osten­dorf, Gerry Bak­ker, Mirko Horn­stein, Ingo Böck­mann, Nico­las Hahn, Andre Sage­mann und Mirko Strube. Alle sind bekannte Bre­mer Nazi-Hoo­li­gans und in Grup­pie­run­gen wie „Stan­darte Bre­men“ und „Nord­sturm Brema“ orga­ni­siert. Einige von ihnen sind dar­über hin­aus seit Jah­ren im „klas­si­schen“ Nazi­mi­lieu aktiv, neh­men an NPD-Akti­vi­tä­ten wie Auf­mär­schen teil, spie­len in Nazi­bands (Han­nes Osten­dorf ist Sän­ger von „Kate­go­rie C“) und waren wie­der­holt an Über­grif­fen auf linke Jugend­li­che beteiligt. 

Die Bre­mer Poli­zei und Jus­tiz bekun­de­ten anfangs noch gro­ßes Inter­esse, den rech­ten Angrei­fern den Pro­zess zu machen. Als einige Zeu­gen des Über­falls von Bedro­hun­gen durch Nazis berich­te­ten, ließ der Bre­mer Polit-Staats­an­walt Picard sogar wie­der­holt öffent­lich ver­lau­ten, dass man keine Ein­schüch­te­rung von Zeu­gen dul­den werde. Auch Innen­se­na­tor Mäu­rer erklärte etwa ein Jahr nach dem Über­fall im Rah­men der „Nacht der Jugend“ im Bre­mer Rat­haus, dass der Pro­zess mit aller Sorg­falt vor­be­rei­tet werde und des­halb seine Zeit brau­che. Im Rück­blick stel­len sich diese Ankün­di­gun­gen als heiße Luft her­aus: zunächst wird der Pro­zess angeb­lich auf­grund von „gerin­gen Inter­es­ses“ vom Bre­mer Land­ge­richt an das Amts­ge­richt ver­wie­sen, zu Beginn der Ver­hand­lung ist der frü­here „Chef-Anklä­ger“ Picard dann noch zufäl­li­ger­weise gerade im Sommerurlaub...

Nach­dem sich zu Beginn der Ermitt­lun­gen noch wenige „aus­sa­ge­wil­lige“ Par­ty­gäste fan­den, erklä­ren sich letzt­end­lich doch um die 40 Men­schen bereit, vor Gericht gegen die Nazis auf­zu­tre­ten. Zur Anhö­rung von Zeu­gen kommt es in der Ver­hand­lung aller­dings gar nicht mehr. Statt­des­sen wird den ange­klag­ten Nazis am ers­ten Ver­hand­lungs­tag ein Ange­bot unter­brei­tet: Als „Gegen­leis­tung“ für (Teil-)Geständnisse wür­den sie mit gerin­gen Geld­stra­fen davon kom­men. Offen­sicht­lich haben Staats­an­walt, Rich­ter und Rechts­an­wälte bereits im Vor­feld einen Deal ein­ge­fä­delt, der die Ange­le­gen­heit ent­po­li­ti­sie­ren und eine genauere juris­ti­sche Auf­ar­bei­tung der Ereig­nisse ver­hin­dern soll. Letzt­end­lich wer­den fünf der Ange­klag­ten zu gerin­gen Geld­stra­fen zwi­schen 200 und 1300 Euro verurteilt.

Inter­es­sant ist den­noch, von wem die ach so „unpo­li­ti­schen“ Hoo­li­gans vor Gericht ver­tre­ten wer­den: Han­nes Osten­dorf z. B. nahm die Dienste der in Leip­zig ansäs­si­gen Kanz­lei „Braeske, Hohn­städ­ter und Tho­mas“ in Anspruch: Arnd Hohn­städ­ter fiel in der Ver­gan­gen­heit dadurch auf, dass er von der Säch­si­schen NPD-Land­tags­frak­tion als „Experte“ beschäf­tigt wurde, er war schon mehr­mals Ver­tei­di­ger von gewalt­tä­ti­gen Nazis.

Beim Pro­zess­auf­takt sit­zen zur Unter­stüt­zung ihrer Kame­ra­den fast zwan­zig Nazis (dar­un­ter Hen­rik Osten­dorf und Daniel Fürs­ten­berg) halb ver­mummt auf den Zuschau­er­bän­ken, foto­gra­fie­ren, bedro­hen und belei­di­gen ein­zelne Pro­zess­be­ob­ach­te­rIn­nen. Eine Rechts­an­wäl­tin erstat­tet noch vor Ort Anzeige, nach­dem sie von Han­nes Osten­dorf belei­digt wurde.

Nazi-Hools im Gerichtssaal

Nazi-Hools im Gerichtssaal

Das Ergeb­nis des Pro­zes­ses kann letzt­end­lich als Folge von Unfä­hig­keit und Unwil­lig­keit von Poli­zei und Jus­tiz in den Jah­ren zuvor gese­hen wer­den: schlecht bzw. gar nicht ermit­teln, die Öffent­lich­keit täu­schen und hin­hal­ten. Die jah­re­lange Ver­schlep­pung des Pro­zess­be­ginns neh­men die Ver­tei­di­ger der Ange­klag­ten dann auch gerne als Vor­wand auf der lan­gen Ver­fah­rens­dauer, dem psy­chi­schen Druck für die armen Nazis und der kom­pli­zier­ten Rekon­struk­tion der Tat­her­gänge her­um­zu­rei­ten. Durch diese Vor­ge­hens­weise gelingt es ihnen, den Pro­zess zu ent­po­li­ti­sie­ren, die Ange­klag­ten in eine Opfer­rolle zu brin­gen und hin­ter den Kulis­sen gleich­zei­tig eine „preis­güns­tige Lösung“ ein­zu­fä­deln. Das Ver­trauen in die Jus­tiz dürfte damit bei vie­len Men­schen mas­siv gelit­ten haben, aber wen ver­wun­dert das schon. Auch die Bre­mer Medien reagie­ren mit Unver­ständ­nis über Ablauf und Ergeb­nisse des Prozesses.

Nach nur weni­gen Tagen Mobi­li­sie­rungs­zeit demons­trier­ten noch am Vor­tag der Urteils­ver­kün­dung ca. 800 Men­schen gegen Nazi­ge­walt und die ver­harm­lo­sende Jus­tiz­tak­tik, auf­ge­ru­fen hat­ten große Teile der akti­ven Bre­mer Fan­szene. Wer­der Bre­men erlässt nach dem Urteil Sta­di­on­ver­bote gegen die Angeklagten.

Der milde Aus­gang des Ver­fah­rens ist für Nazis wie Han­nes Osten­dorf, Andre Sage­mann und Daniel Fürs­ten­berg trotz­dem sicher kein Grund zu lang­fris­tig gro­ßer Freude, hat sich doch in den letz­ten Jah­ren im Sta­dion ein brei­ter Kon­sens eta­bliert, Ras­sis­mus sowie den vor Jah­ren noch unge­stört agie­ren­den Nazi-Hools etwas ent­ge­gen zu set­zen. Die­ses Klima erschwert es Grup­pen wie der „Stan­darte“ natür­lich erheb­lich, Leute anzu­spre­chen und für ihren Nazi-Scheiß zu gewin­nen. Die­je­ni­gen Nazis, die sich noch beim Fuß­ball her­um­trei­ben, sind all­ge­mein bekannt und im Sta­dion nicht will­kom­men. An die­ser Ent­wick­lung haben anti­ras­sis­ti­sche Fan­grup­pen und ‑initia­ti­ven, nicht zuletzt aus der Bre­mer Ultrà-Szene, sicher einen gehö­ri­gen Anteil.

Der Vor­fall ist des­halb auch kei­nes­wegs eine „Haue­rei“ unter Fuß­ball­fans, son­dern der Ver­such rech­ter Hoo­li­gans, junge anti­ras­sis­tisch ein­ge­stellte Men­schen ein­zu­schüch­tern und ihr Enga­ge­ment zu behin­dern. Dass dies offen­sicht­lich nicht geglückt ist, ist eine der weni­gen posi­ti­ven Sei­ten der gesam­ten Ereignisse.

Siehe auch:
Auf dem rech­ten Auge blind (indy­me­dia-Arti­kel)
Nazis zufrie­den mit Urteil (taz)
Nach dem Hoo­li­gan-Urteil hagelt es Kri­tik (Weser Kurier)
Fotos der Demo von Wer­der­fans (Weser Kurier)